Online-PR - Das Enfant terrible der Öffentlichkeitsarbeit

Online-PR, das Enfant terrible der Öffentlichkeitsarbeit

Eine ungewöhnliche These, die ich da in meiner Überschrift in den Raum stelle, das mag sein, und ich habe sie bewusst so provokant formuliert. Ich darf das. Ich bin nämlich „vom Fach“.

Nicht nur in meiner täglichen Arbeit mit meinen Kunden, auch in meiner Lehrtätigkeit und beim Austausch mit BranchenkollegInnen fällt es mir immer wieder auf: Online-PR hat im Rahmen der etablierten Öffentlichkeitsarbeit immer noch eine Sonderstellung. Einerseits als Neuling mit „schlechten Manieren“ beschrieben und andererseits beängstigend, da als unberechenbar eingestuft, hat es die Online-PR sichtlich schwer, sich als gleichwertiges Element neben Medienarbeit, Interner Kommunikation, Event-PR und Krisenkommunikation zu positionieren.

Auf der anderen Seite zeigt sich aber ein zweites Extrem: Online-PR wird als Heilsbringer der gesamten Branche angesehen. Sie wird in neue Kleider gepackt, umgetauft (in Content-Marketing z. B.) und ist tonangebend für den „Niedergang der klassischen PR“.

Beide Sichtweisen sind aber von Grund auf falsch. Als regelmäßige/r und vernunftbegabter/r LeserIn des ZIELBAR-Blogs, wirst du auch ohne, dass ich hier alles wiederholen muss, wissen, warum das so ist. Es stellt sich aber immer noch die Frage, warum ich mein liebstes Arbeitsfeld als „Enfant terrible“ beschrieben habe. Gibt es einen guten Grund dafür?

Du erfährst in diesem Beitrag:

  • Welche Umstände zur Entwicklung der Online-PR führten.
  • Warum Online-PR als junge Disziplin so einen schweren Start hatte.
  • Was Online-PR wirklich gut kann.
  • Welche potenziellen Risiken Online-PR in sich trägt.
  • Warum die Online-PR ein Enfant terrible ist, und warum das gut ist.

Das Enfant terrible, ein Kind seiner Zeit

Unser Enfant terrible wurde in eine Zeit geboren, die geprägt von ständigen gesellschaftlichen Umbrüchen ist. Hand in Hand mit diesen bleiben natürlich auch die unternehmerischen Umwälzungen nicht aus. Zusätzlich haben die Verbreitung und weitläufige Nutzung des Internets innerhalb der Gesellschaft und seine großflächige Implementierung in weiten Teilen des Unternehmertums auch auf die Public Relations gewirkt: Die Online-PR ist ein typisches Kind ihrer Zeit.

In den Anfängen des Internets glich die Online-PR noch stark der klassischen Öffentlichkeitsarbeit und funktionierte als einfacher Distributionskanal von Unternehmensinhalten – nur eben online. Als jedoch die Entwicklung zum Social Web ihren Lauf nahm, änderte sich auch der Status der Online-PR.

Während sie zu Beginn nur eine „Stütze“ der Medienarbeit – die bis heute ihren Status der Königsdisziplin zu halten versucht – darstellte, entwickelte sich die Online-PR rasch zu einem selbstständigen, aktiven und vielversprechenden Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Der „Kampf um den Thron“, oder wenn du willst, der Geschwisterkampf, war unausweichlich.

Öffentlichkeitsarbeit ist mehr als Medienarbeit

Anders als ihre „große Schwester“, die Medienarbeit, hat Online-PR einen offenen, flexiblen und sogar sprunghaften Charakter. Sie liebäugelt mit Nachbardisziplinen wie SEO und Marketing und hat ein Herz für das „einfache Volk“, die allgemeine Netzgemeinde. Online-PR rüttelt also massiv an dem jahrelang haltenden Irrglauben, dass Öffentlichkeitsarbeit nur für Medien gemacht wird.

Dabei sagt der Name selbst schon aus, was Programm ist: In der Öffentlichkeitsarbeit geht es um bewusste, geplante und dauernde Kommunikation mit internen und externen Anspruchsgruppen, die ein wie auch immer geartetes Interesse am Handeln des Senders haben bzw. haben könnten. Kein Wort davon, dass es nur um Journalisten und Medien geht.

Was Online-PR besser macht … und was nicht

Es gibt viele gute Gründe, Online-PR zu lieben und aktiv zu nutzen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier einige Beispiele (bewusst sehr optimistisch formuliert):

  • Online-PR verhilft den Public Relations zu neuem Glanz, eine Renaissance quasi.
  • Online-PR ist am Puls der Zeit.
  • Sie interagiert mit einer breiten Dialoggruppe und bringt Themen schneller und direkter an den Mann/die Frau.
  • Sie schöpft das gesamte Spektrum an potenziellen Dialogpartnern aus.
  • Sie braucht keine Gatekeeper, um zu wirken.
  • Online-PR initiiert langfristige Veränderungen innerhalb von Unternehmen und Organisationen.
  • Online-PR macht aus Dialoggruppen Freunde.
  • Sie ist vergleichsweise günstig.
  • Sie bringt benachbarte Disziplinen näher zusammen.

Ich bin in der Tat der Meinung, dass Online-PR, wenn man sie richtig plant und einsetzt, viel bewegen und verändern kann – zum Positiven. Das heißt aber nicht, dass immer alles wunderbar und rosarot ist. Im Gegenteil, es gibt Tatsachen, die ich als potenzielle Probleme und Herausforderungen ansehe. Dazu zählen exemplarisch:

  • Online-PR kann, falsch eingesetzt, mehr Schaden als Nutzen bringen.
  • Unternehmen und Organisationen werden durch ihre zunehmende Offenheit auch leichter verwundbar – hier gilt: Monitoring und Issues Management.
  • Online-PR braucht ein Umdenken in der Unternehmenskultur, aber wie viele Unternehmen sind dafür (schon) bereit?
  • Im Bereich der Online-PR gibt es viele selbsternannte ExpertInnen, aber wie viel sie wirklich können, ist oft schwer nachvollziehbar.
  • Der Erfolg von Online-PR ist schwer(er) messbar, was aber nicht heißt, dass es keine Evaluierung geben soll.
  • Das Social Web schläft nicht, auch nicht an Wochenenden und Feiertagen.
  • Online heißt nicht, dass alles kostenlos ist und schnell geht. Qualität braucht auch hier ein Budget, gute Planung und reale Zeitfenster.

Und warum jetzt „terrible“?

Die Tatsache, dass Entwicklungen und Neuerungen auch negativen Impact haben können, muss natürlich nicht gleich als „terrible“ eingestuft werden. Da hast du sicherlich recht. Ich bin dir also immer noch eine Erklärung schuldig.

Was ist überhaupt ein Enfant terrible? Definitionen gibt es viele, hier eine von mir:

Ein Enfant terrible ist eine Person des öffentlichen Lebens, die durch ihr Auftreten, ihre Äußerungen und ihr Denken gegen allgemein für „gut und passend“ anerkannte Normen verstößt. Sein Verhalten ist so unkonventionell, dass es schockt.

Abgesehen davon, dass unsere Online-PR keine klassische Person ist, haben sie und das Enfant terrible eine wichtige Gemeinsamkeit: Sie überschreiten Grenzen! Sie denken, was bisher nicht gedacht wurde, und tun, was bisher niemand zu tun gewagt hat. Sie sind ihrer Zeit voraus und setzen sich über bisherige Grenzen hinweg, ganz einfach deshalb, weil diese Grenzen überhaupt keine realen Grenzen waren bzw. sind.

Online-PR ist nur deshalb das Enfant terrible der Öffentlichkeitsarbeit, weil sie es gewagt und geschafft (!) hat, disziplinäre und gesellschaftliche Grenzen zu sprengen und zu zeigen, dass ein anderes Denken und Handeln möglich ist. Dass Alteingesessene damit ein Problem haben und Online-PR deshalb als „terrible“ bezeichnen, wundert mich nicht, schließlich müssen sich alle Beteiligten auf dem neuen Spielfeld erst wieder neu positionieren und die Spielregeln erlernen.

Ich bin übrigens ein Fan von Enfants terribles und ungehorsamen Kindern! Nur wer den Mut hat bestehende „Wahrheiten“ zu hinterfragen, wird echte und nachhaltige Veränderungen hervorbringen können.

Und wie ist nun deine Meinung zu Online-PR? Nutzt du diese Möglichkeit, um auf dich, dein Unternehmen und deine Projekte aufmerksam zu machen?
Online-PR, das Enfant terrible der Öffentlichkeitsarbeit
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Ivana Walden

Ivana Walden

Ivana Walden beschäftigt sich mit der Frage, wie Kommunikation auf den Unternehmenserfolg wirkt und wie Unternehmen und Selbstständige diese Wirkung effizient und effektiv für sich nutzen können. Sie verhilft Unternehmen zu schlanken Kommunikationsstrategien und klaren Leitlinien. "So bleibt mehr Zeit für das wirklich Wichtige: die Menschen."

8 Reaktionen zu “Online-PR, das Enfant terrible der Öffentlichkeitsarbeit”

  1. Heike Heger (@hhheger)

    Jawoll, so ist es! Und ich liebe auch Enfants terribles – danke für den guten Beitrag ;-)

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  2. Ivana Walden
    Ivana Walden

    Und ich danke für deinen Zuspruch! Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. :)

    Liebe Grüße aus Wien

    Antworten
  3. Melanie Tamble

    Hervorragender Beitrag. Niemand hat den Wandel und die neuen Herausforderungen der PR im Web 2.0 so treffend beschrieben wie Brian Solis und Deidre Breakenridge in ihrem Buch „Putting the Public back in Public Relations„, zu Dt.: die Öffentlichkeit zurück in die Öffentlichkeitsarbeit holen. Die Social Media machen die wörtliche Bedeutung der PR offenbar: PR = Public Relations = Öffentlichkeits arbeit. Wie das aktuelle DPRG Barometer aber zeigt, ist die PR immer noch sehr in der klassischen Medienarbeit verhaftet: PR = Press Relations = Pressearbeit. Und Online-PR ist halt auch mehr als klassische PR in den Online-Medien.

    Antworten
    1. Ivana Walden
      Ivana Walden

      Halo Melanie,

      entschuldige meine späte Antwort!
      Danke für deinen Zuspruch, ich kann dir nur zustimmen. Das Buch kann ich ebenfalls empfehlen!

      Ganz liebe Grüße

      Antworten
  4. Sigrid Jo Gruner

    Vor der digitalen Revolution gaben sich die PR viel Mühe sich abzugrenzen gegenüber Marketing und Werbung. Zu Recht! Viele Felder der klassischen Public Relations haben an Bedeutung eingebüßt, was der Artikel ja streift. Großtagungen etwa, Zielgruppen- und Fachveranstaltungen, Roadshows, Kampagnen wurden – wenn ich das richtig sehe – nicht nur aus Budgetgründen in die zweite oder dritte (?) Reihe gedrängt. Online PR sehe ich nicht als benachteiligtes enfant terrible und auch nicht so weit der Zeit voraus. Vielleicht liegt es daran, dass ich unterschiedliche Kommunikationssparten so smooth wie möglich zu verbinden versuche, Spartendenken überhaupt obsolet finde und Diskussionen darüber gelinde Zeitverschwendung. Nicht klagen, machen.

    Klar, die Kunden pochen auf vorzeigbare Ergebnisse. Auch zu Recht. Aber es gibt neue Möglichkeiten der Evaluierung, z.B. wenn man Newsroom-Funktionen nutzt, Monitoringdienste, Vernetzung mit Influendern .. Heute zählen Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit, Kommentare .. Überzeugungsarbeit muss eine Einsicht auch in die Köpfe von Kunden bringen: Nix bleibt wie es war. In einer vernetzten Kommunikationswelt punkten andere Resultate als Abdruckbelege (obwohl diese natürlich klasse sind und immer noch wie weiße Elefanten durchs Haus getragen werden). Dow Jones Medien ausgenommen ;-)

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    1. Ivana Walden
      Ivana Walden

      Liebe Sigrid,

      danke für deinen Input. Ich denke nicht, dass wir in unseren Standpunkten allzu weit entfernt sind. Ich habe in meinen Beitrag bewusst bekannte Grenzen überzeichnet, das heißt aber nicht, dass sie nicht existieren.
      Es gibt PRler wie dich, aber diese sind noch immer vergeleichsweise „rar“. Die meisten machen entweder die klassische Medienarbeit oder sie sind „Außenseiter“ (wie ich?). Dabei gebe ich dir absolut recht, dazwischen gibt es noch so viel mehr, das PR leisten kann. Vieles wurde einfach weggekürzt – kein Geld.

      Nur bei einem Punkt will ich dir klar widersprechen: Warum muss sich PR von Marketing und PR abgrenzen. Ich denke, dass gerade aus den Synergien viel neues Potenzial entsteht.

      Ganz liebe Grüße

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  5. Sigrid Jo

    Hi, nein, Missverständnis, PR haben sich FRÜHER von Marketing und PR abgegrenzt, heute sind die Grenzen mehr als fließend. Online PR sind nicht der Zeit voraus, sondern in ihrer Zeit angekommen.

    Lieben Gruß zurück
    Jo

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    1. Ivana Walden
      Ivana Walden

      Ah, sorry, dann habe ich das falsch verstanden!

      Zur Klärung, was ich mit „ihrer Zeit voraus“ meinte: Enfants terribles sind ja immer nur in ihrer ursprünglichen Gemeinschaft als solche verschrien und innerhalb der Gemeinschaft der Zeit voraus – aber ganz einfach nur deshalb, weil die Gemeinschaft in der Vergangenheit steckengeblieben ist. ;)
      Insofern hast du recht, holistisch betrachtet ist Online-PR in der Gegenwart angekommen.

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