„Jetzt hören Sie mir doch mal zu!“ – Wie man erfolgreich vor Publikum redet

Jetzt hören Sie mir doch mal zu! – Wie man erfolgreich vor Publikum redet

Nicht jeder redet gerne. Gerade Experten sind häufig leidenschaftliche Schweiger, Eigenbrötler, Nachdenker, jedenfalls keine Schwätzer. Schwätzer sind unseriös. Denken die Experten. Und übersehen dabei, dass die Welt da draußen schon ganz gerne an ihrem Expertentum Anteil nehmen würde. Und dass der Erfolg eines Unternehmens heute nicht unwesentlich von der Kompetenz abhängt, die eigene Leistung öffentlich zu vermitteln, vor Publikum zu vermitteln.

Das ist eine Herausforderung. Übrigens auch für die, die gerne reden. Denn auch die, die gerne reden, reden deswegen noch nicht automatisch gut. Was also sollte man sich klarmachen, wenn man sich auf eine Rede, einen Vortrag, eine Präsentation vorbereitet?

Niemand ist verpflichtet zuzuhören

Ja, das ist ärgerlich. Aber das ist so. Nur weil jemand auf der Bühne steht, hat er deswegen in der Regel noch keine besondere Autorität. Zuhörer wollen gewonnen werden. Und dafür ist der Vortragsredner verantwortlich. Was ist also der erste Schritt, um das Publikum zu gewinnen? Sich genau das als Aufgabe klarzumachen. Es nicht für selbstverständlich zu halten, dass da Leute sitzen.

Warum sitzen die überhaupt da? Das ist die nächste Frage, die sich ein Vortragsredner stellen muss. Sitzen die da wirklich freiwillig? Interessieren die sich auch für mich und für mein Thema oder warten die nur auf den Redner nach mir? Oder sind die womöglich gar nicht freiwillig da? Hat deren Chef das angeordnet? Bin ich vielleicht sogar selber der Chef? Sind die mir eher gewogen oder haben die mit mir noch ein Hühnchen zu rupfen?

Wer redet, der muss noch vor den Inhalten erst einmal über seine Zuhörer nachdenken. Welches Vorwissen bringen diese mit? Wie sehr sind sie auch Experten? Oder sind das eher Laien, denen ich Fachausdrücke und Insiderwissen gar nicht zumuten kann?

Nur ein Redner, der sich all dessen bewusst ist, hat eine ernsthafte Chance, Menschen für sich zu gewinnen, für ein Thema zu begeistern. Nicht die Leute da unten sind verpflichtet, dem Redner zuzuhören. Er ist verpflichtet dafür zu sorgen, dass ihm zugehört wird.

Genau das müssen sich nicht nur diejenigen klarmachen, für die es eine Qual ist, als Redner auftreten zu müssen. Genau das müssen sich auch diejenigen klarmachen, die sich für richtig gute Redner halten. Denn gerade die Selbstverliebten reden häufig am heftigsten am Saal vorbei.

Das hier sind die Kernfragen:

  • Wer ist mein Publikum?
  • Was will mein Publikum?
  • Was will ich?
  • Und wie kann ich erreichen, dass mein Publikum das will, was ich will?

Ein Vortrag beginnt immer schon vor dem Vortrag

Selbst wenn man all das berücksichtigt, garantiert das noch lange keinen Erfolg. Es gibt Vortragsredner, die haben noch nicht ein Wort gesagt und sind trotzdem schon beim Publikum unten durch.

Das liegt an der Art ihres Auftritts. Guckt der völlig verängstigt? Wirkt der total überheblich? Putzt der sich bei offenem Mikrofon erst noch einmal in Ruhe die Nase? Braucht der zu Beginn eine halbe Minute, um seine Notizen zu sortieren und auf dem Laptop rumzudrücken?

Es ist nicht nett, aber es ist so: Optik siegt immer über den Inhalt. Wenn der Hemdkragen auf einer Seite über dem Jackenkragen rausguckt, dann gucken sich die Menschen im Saal das erst einmal im Ruhe an. Und kontrollieren anschließend den Rest der Kleidung, werten die Frisur und fragen sich, ob der Vortragsredner auch sonst immer so ein Schlunz ist. Zuhören tut in der Zeit keiner.

Ein Redner sollte immer …

  • … sich halbwegs vernünftig kleiden.
  • … auf dem Weg zum Mikrofon noch einmal unauffällig den Sitz der Kleidung kontrollieren.
  • … zügig ans Mikrofon treten.
  • … sofort ins Publikum schauen.
  • … dabei möglichst freundlich gucken.
  • … in der Sekunde zu reden beginnen, in der er am Mikrofon ist.

Übrigens gilt das leicht abgewandelt auch dann, wenn man keine Bühne hat und nur in einem kleinen Saal mit 20 Leuten sitzt. Auch diese verdienen die gleiche Aufmerksamkeit.

Du hast zehn Sekunden – Nutze sie!

Es ist völlig egal, welche Länge für einen Vortrag, für eine Rede, für eine Präsentation vereinbart worden ist. Egal ob 15 Minuten oder eine halbe oder sogar eine ganze Stunde. Es ist ein Grundfehler vieler Vortragender, zu meinen, sie hätten die gesamte Zeit, um das Publikum für sich zu gewinnen.

Tatsächlich entscheidet sich der Erfolg eines Vortrags (fast) immer in den ersten zehn oder 20 Sekunden. Wenn das Publikum sich nicht ohnehin schon während des Wegs des Redners zum Mikrofon eine erste Meinung gebildet hat, tut es das spätestens jetzt.

Denn zu Beginn ist die Aufmerksamkeit am größten. Da rächen sich Fehler besonders und strahlen auf den ganzen folgenden Vortrag aus. Da kann man sein Publikum andererseits aber auch schon so gewogen stimmen, dass es später sogar den einen oder anderen Fehler verzeiht.

Das Publikum hat in der Regel drei Wünsche an einen Vortragsredner:

  • Er soll sympathisch sein.
  • Er soll unterhaltsam sein.
  • Er soll gut informieren können.

Der Punkt „Information“ steht ganz bewusst an letzter Stelle. Denn nur wenn die ersten beiden Wünsche erfüllt werden, gibt es auch eine ernsthafte Chance, die Informationen loszuwerden.

Das heißt, wer vor Menschen spricht, muss gleich zu Beginn erst einmal deutlich machen, dass er nett und unterhaltsam ist. Der Rest baut auf diesem Fundament auf.

Also nicht so: „Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, heute bei Ihnen zu sein, weil mir das vor allem Gelegenheit gibt, Ihnen von den aktuellen Ergebnissen der dritten Weltfachtagung der Ohrenschmalzexperten im japanischen Kyoto berichten zu können, an der ich in meiner Eigenschaft als Lehrstuhlinhaber für Ohrensausen an der Hans-Dampf-Universität zu Regensburg teilgenommen habe, an der ich, wie Sie sicher wissen, obendrein seit 2011 Dekan des Fachbereichs für Verschwurbelungstechnik bin.“

Ja, das ist jetzt lustig formuliert. Tatsächlich ist es ein Trauerspiel, weil gut und gerne die Hälfte aller Vorträge so oder so ähnlich beginnt.

Dann doch vielleicht lieber so: „Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, heute bei Ihnen zu sein. Und ja, ich gebe gerne zu, was Sie jetzt ohnehin vermuten: Mit dem Satz fange ich natürlich jeden Vortrag an. Nur heute gilt der Satz wirklich. Ich freue mich nämlich, weil …“

Der Redner greift sofort einen möglichen Vorbehalt auf. Er zeigt, dass er sich in sein Publikum hineinversetzen kann. Und ein wenig selbstironisch ist er auch. Und das alles in weniger als 20 Sekunden. Darauf lässt sich aufbauen.

Hilfe, ich hänge!

Das ist die größte Sorge eines jeden, der vor Publikum sprechen muss. Und es ist eine berechtigte Sorge. Denn in fast jedem Vortrag, erst recht bei den frei gehaltenen (die ohnehin immer die besseren sind), kommt der Moment, an dem man sich kurz verheddert.

Und schon kriecht die Panik den Rücken hoch. Was soll ich machen? Wie geht es weiter? Wie komme ich aus der Nummer raus? Und vor allem: Hoffentlich merkt das keiner, dass ich hänge!

Die Hoffnung trügt immer: Das Publikum hat ein untrügliches Gespür für Probleme. Die Menschen kriegen einen Hänger immer mit. Ja, noch schlimmer: Genau in der Sekunde verdoppelt sich die Aufmerksamkeit im Saal. Jetzt interessiert sich keiner mehr für Inhalte. Jetzt interessieren sich alle für den Hänger. Und dafür, was der Redner jetzt macht.

Meint der wirklich, wir würden das nicht merken? Für wie blöd hält der uns eigentlich? Gott, ist das jämmerlich, wie der jetzt stammelt!

Das Beste, was dem Vortragenden passieren kann, ist ein wenig Mitleid. Kurz: Ein Hänger ist eine Katastrophe. Wirklich? Tatsächlich ist ein Hänger nur dann eine Katastrophe, wenn er linkisch überspielt wird. Er ist aber eben auch eine Chance. Denn jetzt zeigt sich, wie souverän jemand ist.

Deswegen gilt:

  • Niemals einen Hänger überspielen!
  • Immer offen damit umgehen!
  • Ihn als Chance verstehen!

Denn genau an dieser Stelle kann der Redner das erneuern, was er hoffentlich schon zu Beginn seines Auftritts getan hat: sich menschlich und freundlich zeigen. Nämlich ganz einfach so: „Meine Damen und Herren, ich bin sicher, Sie haben es alle schon gemerkt: Ich habe gerade einen Hänger. Hat jemand von Ihnen einen Vorschlag, wie ich weitermachen soll?“

Die Menschen werden lachen. Die Menschen werden den Redner mögen. Und der wird nicht ernsthaft einen Vorschlag brauchen. Denn in dem Moment, in dem er mit den Zuhörern gemeinsam lacht, löst sich die Anspannung von alleine, und es ist plötzlich wieder völlig klar, wie es weitergehen muss.

Fazit: Inhalte werden überschätzt

Sicher, das ist jetzt als Provokation gemeint. Natürlich geht es immer um die Inhalte. Aber damit es um die Inhalte gehen kann, müssen eben ein paar Voraussetzungen erfüllt sein. Und nur wer die vorher klärt, der hat eine Chance, auch seine Inhalte loszuwerden.

Das ist keine lästige Pflicht. Im Gegenteil: Wer sich darauf einlässt, der wird überrascht feststellen, dass das Publikum plötzlich ganz anders reagiert. Die Menschen hören aufmerksamer zu, die daddeln weniger auf ihren Smartphones, die nicken plötzlich an den richtigen Stellen und hinterher gibt es ordentlich Applaus.

Nur wenn das Publikum dich mag, mag es auch dein Thema und deine Inhalte.

Deswegen ist die wichtigste Regel für jeden Redner diese hier: Du darfst nicht nur Experte sein. Du musst immer auch Mensch sein.

Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY

Wie bereitest du dich auf einen Vortrag, eine Rede, eine Präsentation vor? Denkst du neben den Inhalten auch über die Form nach? Wie genau beobachtest du andere Redner und lernst aus deren Fehlern und deren Können?
Jetzt hören Sie mir doch mal zu! – Wie man erfolgreich vor Publikum redet
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Tom Hegermann

Tom Hegermann

Tom Hegermann hat als freier Journalist 25 Jahre Hörfunksendungen für den WDR moderiert. Heute ist er vor allem Veranstaltungsmoderator und hört sich dabei rund 250 Vorträge pro Jahr an. Sein Fazit: Allenfalls 20 Prozent der Redner sind wirkliche Könner. Inzwischen ist er selbst als Redner und Trainer unterwegs. Sein Schwerpunkt: Handwerk fürs Mundwerk.

3 Reaktionen zu “Jetzt hören Sie mir doch mal zu! – Wie man erfolgreich vor Publikum redet”

  1. Barbara Kettl-Römer

    Weltfachtagung der Ohrenschmalzexperten in Kyoto? Haha, das werde ich mir merken …

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  2. Volker H. Dietz

    Ähnlich der Darbietungen im Zirkus, die heute kaum noch jemand für etwas Besonderes hält, sind auch die Erwartungen an diejenigen, die am Rednerpult stehen, meiner Meinung nach gestiegen.
    Wer seine Präsentation nicht als staatstragenden Akt inszeniert, der mit sensationellen Versprechungen garniert ist, hat doch bei manch einem, der sich den Vortrag anhören muß, schon von vornherein verloren. Mir kommt das Menschliche, Fehlerbehaftete, Normale, Glaubwürdige, oft zu kurz.
    Gleichzeitig nimmt sich die Zuhörerschaft für sich selbst immer mehr Freiheiten und Frechheiten, heraus. Wie kann man solchen Leuten mal mit einer angemessenen Geste den Spiegel vorhalten?

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  3. Tom Hegermann
    Tom Hegermann

    Lieber Volker Dietz, ich kann diesen Reflex nur zu gut verstehen, der Zuhörerschaft mal den Spiegel vorhalten zu wollen. Und ja, ein jeder Vortragsredner sollte sich auch Gedanken darüber machen, wie er mit Störungen umgeht.

    Allerdings ist meine Erfahrung, dass sich eine solche Reaktion immer im ironischen Bereich abspielen sollte. Letztlich will ich doch das Publikum für mich und mein Thema gewinnen, selbst dann, wenn mich Teile des Publikums nerven. Und da bringt es nicht wirklich etwas, in eine Konfrontation zu gehen. Wie gesagt: ironisch immer gerne. Alles andere geht nach hinten los.

    Und so sehr ich mich in meinem Text auf Methoden des Vortrags konzentriert habe: Ich habe schon mehr als einen Vortragsredner erlebt, der mit perfektem Methodeneinsatz und großem rhetorischen Aufwand ein Publikum schwindelig geredet hat. Aber wenn sich dahinter keine Inhalte verbergen, dann merkt das Publikum spätestens bei den Gesprächen der nachfolgenden Kaffeepause, dass da ein Schaumschläger seinen Auftritt hatte.

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