Digitale Transformation: Woran sie wirklich scheitert und was sich dagegen tun lässt

Digitale Transformation: Woran sie wirklich scheitert und was sich dagegen tun lässt

Auch 2017 steht ganz im Zeichen der digitalen Transformation, die uns von nun an auf immer begleitet. Analytics, Automatisierung und der Vormarsch der Denkmaschinen bestimmen derzeit die Trends. Der Innovationsdruck ist hoch und das Veränderungstempo zunehmend rasant. Doch die Mehrzahl der Unternehmen ist für die Digitalisierung noch nicht bereit, fand eine BVDW-Studie kürzlich heraus. Woran das liegt? Das wahre Problem liegt in der Unternehmenskultur.

Im Dickicht der technologischen Innovationen den Überblick zu behalten, ist gar nicht so leicht. Immer neue Software-Anwendungen treiben die Marketer vor sich her. Und die Sorge, nicht up to date zu sein, wächst. Die Zahl der Touchpoints steigt kolossal. Die online-offline-mobile-gemixte Customer-Journey wird immer komplexer. Zudem ist eine durchgängig positive, abteilungsübergreifend synchronisierte Customer Experience zu erschaffen. Und die Kunden? Wenn überhaupt, dann schenken sie einem Anbieter nur noch Micro-Momente der Aufmerksamkeit.

Leider wird bei der omnipräsenten Digitaldiskussion in diesem Kontext gerne vergessen: Jeder Transformationsprozess ist immer zugleich auch eine unternehmenskulturelle Herausforderung. Das Heil ist nicht nur in Technologien zu finden. Wem es nicht gelingt, die Menschen in Zeiten des Wandels mitzunehmen, wird scheitern.

Das bedeutet: Die Anbieter müssen sich zunächst drinnen verändern, damit sie draußen am Markt überleben können. In einem alten Arbeitsumfeld kann man nicht auf neue Gedanken kommen. Rasanz braucht Agilität, und die kann sich nicht in starren Verfahren entfalten. Zentrale Steuerung ist in komplexen Systemen auf verlorenem Posten. Und wenn anweisungsbasierte Top-down-Formationen auf vernetzte Organisationen treffen, wird es langfristig für erstere eng.

20 Prozent digital, 80 Prozent Transformation

Wenn es um Zukunftsfitness geht, macht das Digitale vielleicht 20 Prozent aus, 80 Prozent sind Transformation. Zwingend betrifft der Veränderungsdruck auch die Organisationsstrukturen und Führungsprozesse. Doch in vielen Unternehmen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Managementmoden aus dem letzten Jahrhundert, Pyramidalorganigramme, Silostrukturen, Command&Control-Mechanismen und anderes Uraltzeugs sind der Beleg.

  • So sagen 83 Prozent der Mitarbeiter in deutschen Unternehmen, in ihrer Firma werde noch strikt hierarchisch entschieden, fand die Akademie-Studie „Führung im Umbruch“ heraus.
  • Bei der GfWM-Studie „Der Ruf nach Freiheit“ gaben 39 Prozent der 2550 Befragten zu Protokoll, dass Führungskräfte in ihrem Unternehmen Veränderungen generell blockieren.
  • Und im Rahmen einer Studie des Thinktanks 2bAhead nannten 52 Prozent der teilnehmenden Manager die Angst, Entscheidungen auf unsicherer Basis zu treffen, als den Innovationsverhinderer Nummer eins.

Weiß man um diese erschütternden Zahlen, wird klar, wo es in puncto Transformation wirklich klemmt. Gute Vorsätze sind zwar allgegenwärtig, und über Umbaumaßnahmen wird viel schwadroniert. Doch das meiste davon bleibt folgenlos. Denn es fehlt am Handlungswillen. Die meisten schauen nur zu, wie sich die Businesswelt längst von Grund auf verändert. Wer aber seine Verweigerungshaltung behält und die internen Bremsen nicht lockert, verschwindet in der Bedeutungslosigkeit. Was also tun?

Maßnahme 1: Die Angst muss verschwinden

In etablierten Systemen sind die meisten Manager keine Rebellen, sondern allenfalls Optimierer. Quer denken? Muster brechen? „Kann ich mir nicht erlauben, habe zwei Kinder und gerade ein Haus gebaut. Schön dumm wäre ich, mich groß aus dem Fenster zu lehnen“, vertrauen mir die Manager an. Jede Veränderung und damit auch jede Innovation impliziert, dass etwas bislang Unbekanntes entsteht, von dem niemand ganz sicher weiß, ob es besser oder schlechter sein wird als das davor. Und das macht Angst.

So ist es zuvorderst die Angst, und speziell auch die Angst vor Fehlern beim Tun, die aus den Unternehmen verschwinden muss. Angst ist der größte Fortschrittskiller. Dass Menschen durch Command&Control-Mechanismen geistige Großtaten vollbringen, ist eine gefährliche Mär. Das Gegenteil ist nämlich der Fall. Dauerdruck und anhaltende Missstimmung sabotieren die Fähigkeit des Gehirns, sein Bestes zu geben, weil die im Angstzustand ausgeschütteten Botenstoffe Synapsen blockieren.

Doch für kognitive Arbeit sind schnelle Synapsen bitter vonnöten. Kreativität, die Schlüsselressource für Innovationen, ist wie eine launige Diva, die die richtigen Umstände braucht. Heiterkeit, Muße und Stress-Abstinenz gehören dazu. Miteinander – statt gegeneinander – und ein kameradschaftlicher Stil schaffen Austausch und angstfreie Räume. Deshalb wird in florierenden New-Economy-Firmen auch so viel Wert auf ein Wohlfühlklima gelegt.

Maßnahme 2: Macht muss zurückgebaut werden

Macht und Angst sind ein Paar. So kommt es, dass Machtbesessene sich vom „Fußvolk“ abgrenzen wollen, ihren Zuständigkeitsbereich hermetisch abriegeln, im autistischen Silodenken verharren und ihre Befugnisse hüten wie einen Schatz. Doch der Chef als Ansager und Aufpasser ist ein Auslaufmodell. Die Führungscrew kann heutzutage nicht einmal ahnen, wohin der richtige Weg führt. „Ihre neue Aufgabe ist es, das Finden von Antworten zu organisieren“, schreibt Christoph Keese in seinem Buch „Silicon Germany“.

Denn wie soll Außergewöhnliches, Innovatives und Disruptives passieren, wenn stromlinienförmige Vorgänge-Abarbeiter und maultote Mitläufer ein Unternehmen bevölkern? Und wie bitte können Volltreffer gelingen, wenn alle immer nur abwartend nach Oben schauen, anstatt nach draußen zum Kunden und Markt? Das „Machtwort“ des Chefs lässt wertvolle Initiativen oft einfach versanden.

Wer das Neuland der Zukunft betritt, muss von klassischen Machtthemen Abschied nehmen, mit Gewohnheiten brechen und ehemals gültige Glaubenssätze über Bord werfen können. Allerdings wiederholen Menschen gern Aktivitäten, in denen sie mal siegreich waren. „Self-Herding“ wird dieses Verhalten in Fachkreisen genannt. Ähnlich dem Herdentrieb folgen wir hier der „Herde“ unserer eigenen früheren Entscheidungen. So bleiben die meisten Manager in ihren alten Mindsets gefangen.

Maßnahme 3: Selbstorganisation initiieren

Die Menschen sehnen sich danach, in einer anderen Arbeits- und Führungskultur als der gestrigen tätig zu sein. Für gute Entscheidungen ist zudem die „Weisheit der Vielen“ gefragt. Doch ohne die Freiheit des Dürfens verpuffen Wollen und Können. Dezentralere Organisationen sind deshalb ein notwendiger Schritt. Sich selbst steuernde Teams werden gebraucht. Agil und kollaborativ müssen sie sein. Das impliziert: So viel Selbstorganisation wie möglich mit nur so viel zentraler Steuerung wie unbedingt nötig.

Entscheidungen und die Verantwortung dafür verbleiben im Team. Die Führung achtet vor allem darauf, dass nichts Operatives zu ihr zurückdelegiert wird. Nur noch in Ausnahmefällen und in strategischen Kontexten greift sie direktiv ein. Ansonsten ist sie vor allem fördernd tätig. Sie sorgt für ein angenehmes Arbeitsumfeld, für perfekte Rahmenbedingungen und für umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten.

Mit den Freiheitsgraden, die Selbstorganisation bringt, haben die meisten Mitarbeiter, nachdem sie – ganz wichtig! – sich einüben konnten, gar keine Probleme. Probleme hat damit aber das mittlere Management. „Die Mitarbeiter können das nicht“, hört man von denen. „Wir wollen das nicht“, müssten sie eigentlich sagen. Wenn sich nämlich die Leute selbst organisieren, hat ein herkömmlicher Manager nur noch wenig zu tun.

Maßnahme 4: Das interne Touchpoint Management

Die Führungskräfte der Zukunft müssen ihre Organisation transformationsfähig machen. Dazu braucht es Tools, die diesen Prozess unterstützen. Das interne Touchpoint Management (PDF) ist dazu bestens geeignet. Angelehnt an das Customer Touchpoint Management und die Customer Journey betrachtet es die „Reise“ des Mitarbeiters durch das Unternehmen, also die Employee Journey – und zwar aus dem Blickwinkel des Arbeitnehmers. Es berücksichtigt die Anforderungen an unsere neue Arbeitswelt und ordnet deren zunehmende Komplexität in ein Gesamtsystem.

CTMP-Prozess

Ziel des insgesamt vierstufigen Prozesses ist die Koordination aller Berührungspunkte zwischen Mitarbeitenden, Führungskräften und Organisation. Jede Interaktion wird dazu genutzt, inspirierende Arbeitsplatzbedingungen zu gestalten, hemmende interne Bürokratie auszumerzen, Selbstorganisation zu fördern und im Rahmen eines wertschätzenden Klimas optimale Leistungsmöglichkeiten zu schaffen. Alle Beschäftigten werden zudem auf das Wohlergehen der Kunden ausgerichtet.

So erhöht die intensive Auseinandersetzung mit jedem einzelnen internen Touchpoint nicht nur die Mitarbeiterperformance, sie führt auch zu Zeit- und Kosteneinsparungen, zu einer Stärkung der Arbeitgebermarke, zu höherer Kundenloyalität, zur Neukundengewinnung durch Weiterempfehlungen und damit zu gesunden Erträgen. Am Ende des Weges steht eine zukunftsfähige Organisation, die hocheffizient ist – und zutiefst human.

Fazit: Transformation first

Wer den digitalen Wandel meistern und zukunftsfit werden will, der muss jetzt aufwachen und den Willen zur Veränderung auch tatsächlich leben. Entscheidend dabei: Die Transformation muss bei der Unternehmenskultur beginnen. Die Geschäftsleitung gibt dazu den Startschuss. Gemeinsam mit allen Mitarbeitern und Führungskräften hat sie die Aufgabe, ihr Unternehmen transformationsfähig zu machen, denn fortan leben und arbeiten wir in permanenter Transformation. Der Maßnahmenplan:

  • Die Angst muss aus dem Unternehmen verschwinden!
  • Macht im Command&Control-Stil muss zurückgebaut werden!
  • Die Selbstorganisation der Mitarbeiter initiieren!
  • Das interne Touchpoint Management implementieren!

Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY

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Digitale Transformation: Woran sie wirklich scheitert und was sich dagegen tun lässt
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Anne M. Schüller

Anne M. Schüller

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk Xing zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.

2 Reaktionen zu “Digitale Transformation: Woran sie wirklich scheitert und was sich dagegen tun lässt”

  1. Christoph Drebes

    Ein netter Quick-Win für den Abbau von Pyramidalorganigrammen und das Aufbrechen von Silostrukturen zwischen Abteilungen ist Mystery Lunch: Ein Format, das Mitarbeiter zufällig mit Kollegen aus anderen Geschäftsbereichen für ein Mittagessen auslost.

    Das Tool ist auf keinen Fall der Schlüssel für die Digitale Transformation, verstärkt aber die Unternehmenskultur in Richtung Kommunikation und Austausch. Letztendlich sind die persönlichen Gespräche zwischen Mitarbeitern die Voraussetzung, um alle im Artikel genannten Punkte erfolgreich umzusetzen.

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  2. Anne M. Schüller
    Anne M. Schüller

    Eine sehr gute Idee, Herr Drebes, vielen Dank.

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